Correctiv – Datenauswertung: So viele Frauen tappen in die Minijob-Falle

 

Liebe Kollegen,

Anbei bieten wir Euch einen regionalisierten Text zu unserer umfangreichen Minijob-Recherche an, den wir in Kürze bei CORRECTIV.RUHR veröffentlichen. Ihr könnt den Text gerne übernehmen. Vor allem für Eure Online-Seiten könnte er interessant sein. Wir wollen kein Geld. Aber es wäre sehr nett, wenn Ihr den Absatz ganz unten unter den Text setzen könntet.

Die gesamte Recherche: 
Wir haben in den vergangenen Monaten alle verfügbaren Daten zu den mehr als 7 Mio. Mini-Jobbern in Deutschland ausgewertet. In welchen Regionen arbeiten die meisten von ihnen? Wie lange währt der Job im Schnitt? Wie hoch ist der Anteil Männer Frauen? Wie alt sind die Minijobber? Welche Branchen greifen am häufigsten auf Minijobber zurück? Welche Qualifikation haben sie? etc. 

Das Besonders ist: Wir stellen Euch regionale Daten zur Verfügung, s.u. 

Die regionalisierte Geschichte:

+++ „Reinigen ist ein schönes, angenehmes Arbeiten“ +++
Auch in NRW verführt das Ehegattensplitting Frauen in Minijobs und macht sie finanziell abhängig von ihren Ehemännern. Zum Beispiel Susanne Rülfing aus Recklinghausen. Aber sie sagt, es sei gut so, sie sagt: „Ich kenne niemanden, der unglücklich mit seinem Minijob ist“

Den ganzen Text könnt Ihr hier im doc-Format herunterladen. Fotos findet Ihr hier zum Download: Aumacher (Fotohinweis: CORRECTIV.RUHR), Porträt Susanne Rüfling (Fotohinweis: provat) Die Fotos könnt Ihr kostenlos verwenden.

+++ Unsere Nennung für die NRW-Geschichte +++
Von Anna Mayr und Simon Wörpel (CORRECTIV.RUHR)

Die Autoren sind Redakteure bei CORRECTIV.RUHR. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: Missstände aufdecken und unvoreingenommen darüber berichten. Wenn Sie CORRECTIV.RUHR unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied des Recherchenzentrums correctiv.org. Informationen finden Sie unter correctiv.org

Neben der regionalisierten Geschichte bieten wir weitere Artikel sowie folgendes Zusatzmaterial:
(Die unten stehenden Links sind bisher nur versteckt veröffentlicht. Ihr erreicht die Seiten nur über den direkten Link, sonst findet das niemand, weil es noch nicht über die Google-Suche erfasst wird.)

  1. Bundesweite Datenauswertung
    So viele Frauen tappen in die Minijob-Falle – Aufmachertext mit interaktiver Deutschlandkarte: In dem Aufmachertext erzählen wir, wie Frauen in die Minijob-Falle geraten.  Diesen Text könnt Ihr selbstverständlich mit einem Fallbeispiel aus Ihrer Region ergänzen. 
- Dazu gehört  eine interaktive Deutschlandkarte, die wir Euch zu Verfügung stellen. Auf der Karte könnt Ihr Landkreis für Landkreis nachvollziehen, wie viele Frauen und Männer im Alter zwischen 25 und 65 Jahren jeweils geringfügig beschäftigt sind. 


- Ebenfalls enthalten im Text ist eine grafische Aufbereitung, wie lange Männer und Frauen in ihren Minijobs verharren.


- Ergänzt wird der Text zudem durch einen Ost.-West-Vergleich am Beispiel Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, ebenfalls nachvollziehbar an einzelnen Landkreisen.

https://correctiv.org/recherchen/arbeit/artikel/2017/07/25/westdeutsche-frauen-und-der-minijob/

  1. Graphische Aufschlüsselung nach Bundesländern und Landkreisen
    Wie viele Minijobber arbeiten in Ihrem Bundesland? In welchem Landkreis sind es besonders viele, in welcher Gemeinde am meisten?

Wir haben die Daten für Euch außerdem für die einzelnen Bundesländer kompakt und übersichtlich aufbereitet.  Balken zeigen pro Land die Verteilung von Minijobs unter Männern und Frauen. Wenn Ihr auf das Balkendiagramm klickt, werden Euch Details über das jeweilige Bundesland angezeigt. Es erscheint dann auch eine grafische Ansicht der Landkreise, die herunter geladen werden kann. Ebenso sichtbar: die Zahlen der Minijobber pro Landkreis und Gemeinde, jeweils nach Arbeitsort und nach Wohnort einsehbar.

https://correctiv.org/recherchen/arbeit/artikel/2017/07/25/minijobs-daten-fuer-kooperationspartner/

 

  1. Wie sieht es in Eurer Nachbarschaft aus?
    Für jede der rund 11.000 Gemeinden in Deutschland findet Ihr in der Karte die Zahl der Minijobber – und Ihr könnt die Entwicklung seit 2003 erkennen. Je stärker ein Ort eingefärbt ist, desto höher der Anteil derjenigen, für die der Minijob die einzige bezahlte Arbeit ist.

https://correctiv.org/recherchen/arbeit/artikel/2017/07/25/so-viele-minijobber-wohnen-deiner-gemeinde/

 

  1. Die deutschen Minijob-Hochburgen
    Karte mit einzelnen Orten, wo besonders viele Minijobber arbeiten und Hintergründe

https://correctiv.org/recherchen/arbeit/artikel/2017/07/25/die-gemeinden-mit-den-meisten-minijobs/

 

  1. In welchen Branchen arbeiten die meisten Minijobber?
    Text plus Balkendiagramme zu einzelnen Branchen

https://correctiv.org/recherchen/arbeit/artikel/2017/07/25/wer-profitiert-von-minijobs/

Gerne könnt Ihr diesen newsletter an Leute bei Euch im Haus weiterreichen, für die unsere Themen eher interessant sind.

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Besten Gruß

Bastian Schlange
CORRECTIV.RUHR
correctiv.ruhr

 

„Reinigen ist ein schönes, angenehmes Arbeiten“

Warum Susanne Rülfing zufrieden mit ihrem Minijob ist

 

Von Anna Mayr und Simon Wörpel (CORRECTIV.RUHR)

 

Auch in NRW verführt das Ehegattensplitting Frauen in Minijobs und macht sie finanziell abhängig von ihren Ehemännern. Zum Beispiel Susanne Rülfing aus Recklinghausen. Aber sie sagt, es sei gut so, sie sagt: „Ich kenne niemanden, der unglücklich mit seinem Minijob ist“

 

 

An Susanne Rülfings linker Hand presst ein goldener Ehering ihren Finger zusammen. 34 Jahre ist es her, dass er ihr angesteckt wurde, seitdem hat sie ihn nicht abgenommen. Ihr Finger veränderte sich, der Ring blieb, wo er war. Und klemmt nun dort die Haut ein. Ringe sind ein Symbol, auch hier. Die Ehe gab den Rahmen vor, Susanne Rülfing hat sich arrangiert.

 

Jeden Tag um 17 Uhr stülpt sie sich Gummihandschuhe über und putzt die Verwaltung einer Müllverbrennungsanlage in Recklinghausen. „Mein Bereich sind 17 Büros, zwei Besprechungsräume, eine Küche, Toiletten, die Podeste von zwei Treppenhäusern, ein Flur, zwei Kopierräume“, sagt sie. Zwei Stunden hat sie Zeit, pro Tag, dann muss alles sauber sein. Macht zehn Stunden die Woche und 40 pro Monat. Das ist ihr Minijob. Rülfing wird nach Tarif bezahlt und verdient zehn Euro in der Stunde, brutto wie netto.

 

Wer Susanne Rülfing kennenlernt, lernt das Ruhrgebiet kennen. Dunkle kurze Haare, Jeans, auf der Hülle ihres Smartphones fliegt ein Vogelschwarm gen Himmel. Ihr Vater war Bergmann, die Mutter SPD-Ratsmitglied. Der Ehemann ist Kraftfahrer. Sie haben ein Einfamilienhaus in Recklinghausen mit kleinem Garten, alles noch nicht abbezahlt. Die vier Kinder haben Abitur gemacht und dann Ausbildungen. Wenn Rülfing in Rente geht, werden ihr die Erziehungsjahre angerechnet und die kurze Zeit, in der sie „auf Steuerkarte“ gearbeitet hat.

 

„Viel wird das nicht sein“, sagt sie. „Vielleicht 200 Euro.“ Aus einem Minijob entstehen keine Rentenansprüche. Aus einer Ehe schon. Wenn ihr Mann sich scheiden lässt, hat Rülfing Anspruch auf die Hälfte seiner Rente. Etwas über 1200 Euro wird er bekommen – für ein Leben zu zweit gerade genug. Abhängig fühlt sie sich trotzdem nicht. „Ich treffe hier im Haus die Entscheidungen“, sagt sie. Er bringt das Geld, sie verwaltet es. Das ist die Abmachung: „In einer Ehe muss jeder was von seinem Ego wegstecken.“

 

Das Wegstecken begann nach ihrer Ausbildung zur Friseurin. Der Betrieb übernahm sie nicht, ein Jahr lang bekam sie Arbeitslosengeld. Irgendwann wollte sie nicht länger auf eine freie Stelle in einem Friseursalon warten. „Dann haben wir gesagt, dass wir jetzt auch eine Familie gründen können.“ Rülfing war 21, als ihr erster Sohn zur Welt kam.

 

„Ich kenne niemanden, der unglücklich mit seinem Minijob ist“, sagt sie. „Im Job ist alles okay. Das Reinigen ist ein schönes, angenehmes Arbeiten.“ Ein Tarifvertrag, bezahlter Urlaub und Kollegen, die einen guten Feierabend wünschen. „Nur das Drumherum könnte besser sein.“

 

Besonders in den ländlichen Regionen in NRW ist der Minijob häufig der einzige Job, den die Frau macht: Im Kreis Olpe bleiben 16,5 Prozent der Frauen länger als fünf Jahre im Minijob. Die Erklärung: Das traditionelle Familienbild ist auf dem Land noch stärker ausgeprägt. Der Mann ernährt, die Frau verdient hinzu.

 

Marissa Klockner, Beraterin bei der Agentur für Arbeit im Sauerland, bestätigt das: Viele Frauen blieben dort für die Kindererziehung bis zu 15 Jahre lang zuhause. Frauen, die danach wieder einsteigen wollen, können Maßnahmen und Weiterbildungen machen. „Aber wenn jemand sich auf dem Minijob ausruht und damit zufrieden gibt, dann können wir auch nichts tun”, sagt Klockner. Zudem sind auf dem Land oft die Fahrtzeiten länger, kommen die Busse seltener – vor allem Frauen haben dann keine Zeit für eine Teilzeitstelle, weil sie sich um die Kinder kümmern müssen, anstatt im Linienbus zu sitzen.

 

Neben dem Sofa und im Flur des Hauses, in dem Susanne Rülfing seit 15 Jahren wohnt, hängen Bilder der vier Kinder, von denen zwei schon ausgezogen sind. Am linken Arm, zwischen Ellenbogen und Handgelenk, hat Rülfing sich ein Tattoo stechen lassen: Ein Herz, drumherum ranken sich die Namen und Geburtsdaten der Kinder. David, Patrick, Sarah, Kimberly. Sie sind ihr Lebenswerk. „Erziehung hört nicht nach drei Jahren auf“, sagt sie. Wenn Kindererziehung bei der Rente mehr anerkannt werden würde, wäre sie ein bisschen weniger auf ihren Mann angewiesen.

 

Für Männer können Minijobs das Sprungbrett in eine Vollzeitstelle sein. Für Frauen hingegen sind Minijobs Treibsand. In Deutschland machen mehr als zwei Millionen Frauen zwischen 25 und 65 ausschließlich einen Minijob. Gegenüber rund 800.000 Männern. Zudem bleiben Frauen deutlich länger in ihren Minijobs. Frauen, die ausschließlich einen Minijob haben, sind oft verheiratet. Er hat das Haupteinkommen, sie verdient etwas dazu.

 

So haben die Frauen Zeit für die Kindererziehung, machen sich allerdings finanziell abhängig. „Ein Minijob hat kurzfristige Vorteile, aber langfristige Nachteile“, sagt die Arbeitsmarktforscherin Karin Jährling von der Universität Duisburg-Essen. „Man erwirbt keine eigenen Ansprüche in der Alterssicherung, nur über die Ehe.“ Aus einem Minijob entstehen keine Rentenansprüche, außer man zahlt freiwillig in die Rentenkasse ein. Doch bei einem monatlichen Gehalt von etwa 450 Euro sind die wenigsten bereit, noch etwas davon abzugeben.

 

Wenn sich Teilzeitarbeit nicht lohnt

Für viele Frauen lohnt es sich nicht, eine Teilzeitstelle anzunehmen und damit eigene Rentenansprüche zu bekommen. Schuld ist das Ehegattensplitting. Susanne Rülfings Kinder sind alle erwachsen. Sie hätte Zeit für eine Halbtagsstelle, für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Könnte, wie sie es nennt, „auf Steuerkarte arbeiten“. Doch da fängt das Problem an – bei den Steuern.

In Deutschland gilt das Ehegattensplitting: Der Partner, der weniger verdient, hat die schlechtere Steuerklasse. Als Rülfing einmal ihre Stunden aufstockte, musste sie von den rund 900 Euro, die sie verdiente, etwa 400 Euro für Versicherungen und Steuern abgeben. Damit blieb ihr kaum mehr Netto als bei ihrem im Minijob. „Da habe ich die Notbremse gezogen“, sagt sie. „Ich habe meiner Chefin gesagt, dass ich von der Steuerkarte wieder runter will.“

Susanne Rülfing erinnert sich an eine Rede der Bundeskanzlerin im Fernsehen. Angela Merkel sagte, dass sich Leistung in Deutschland wieder lohnen solle. Rülfings Leistung hatte sich nicht gelohnt.

Ihren derzeitigen Minijob macht Rülfing seit sechs Jahren. Viele Frauen bleiben über Jahre hinweg Minijobberinnen. In der Statistik der Arbeitsagentur sieht die Lage besser aus, dort ist die durchschnittliche Verweilzeit im Minijob etwa 900 Tage. Weil darin nur erfasst wird, wie lange jemand bei seinem jeweiligen Arbeitgeber angestellt ist.

Alle paar Jahre schreibt die Firma, deren Büros Rülfing putzt, den Reinigungsdienst neu aus. Personaldienstleister können dann ein Angebot machen, das beste bekommt den Auftrag. Danach erhalten alle Reinigungskräfte eine Kündigung vom bisherigen Personaldienstleister, anschließend einen neuen Arbeitsvertrag vom neuen. Die Arbeit bleibt dieselbe, die Frauen bleiben dieselben – doch in der Statistik sieht es aus, als hätten die Minijobberinnen den Absprung geschafft. Dabei bedeutet jeder neue Arbeitsvertrag eine neue Probezeit, kürzere Kündigungsfristen, Vertrauensverlust. Letztes Jahr wurde eine von Rülfings Kolleginnen in der Probezeit gekündigt – nach 17 Jahren im gleichen Job.