Ausgegraben: Hertens Ratsarbeit

2003: Hertens Ratsarbeit – Funktioniert die kommunale Demokratie in Herten?

Stellungnahme Pro-Herten zur Ratsarbeit, Anlass: ltz. APBU-Sitzung
14.01.2003

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Fragen, die sich Pro-Herten nach dem Besuch einer Ausschuss-Sitzung stellt

Demokratie lebt vom Prinzip der Öffentlichkeit, folglich tagen Parlamente und Stadträte öffentlich. Wie gesagt: im Prinzip, denn die Teilnahme der Öffentlichkeit an Ratssitzungen und Sitzungen seiner Ausschüsse lässt zu wünschen übrig. Offenbar ist das Interesse der Bürger an ihren ureigensten Angelegenheiten kaum oder gar nicht gegeben. Rat und Verwaltung scheint’s nicht zu stören.

Pro Herten sorgt sich um mögliche oder tatsächliche Folgen mangelnder öffentlicher Kontrolle in der kommunalen Demokratie

Die Aufgaben des Rates entsprechend der GO NRW §§ 40 ff

  • 40

Träger der Gemeindeverwaltung

  • Die Verwaltung der Gemeinde wird ausschließlich durch den Willen der Bürgerschaft bestimmt.
  • Die Bürgerschaft wird durch den Rat und den Bürgermeister vertreten……………..
  • 41

Die Entscheidung über folgende Angelegenheiten kann der Rat nicht übertragen:

  1. die allgemeinen Grundsätze, nach denen die Verwaltung geführt werden soll,
  2. die Wahl der Mitglieder der Ausschüsse und ihrer Vertreter,
  3. die Wahl der Beigeordneten,
  4. die Verleihung und die Entziehung des Ehrenbürgerrechts und einer Ehrenbezeichnung,
  5. die Änderung des Gemeindegebiets, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist,
  6. den Erlass, die Änderung und die Aufhebung von Satzungen und sonstigen ortsrechtlichen Bestimmungen, abschließende Beschlüsse im Flächennutzungsplanverfahren und

abschließende Satzungsbeschlüsse auf der Grundlage des Baugesetzbuchs und des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch,

  1. den Erlass der Haushaltssatzung und des Stellenplans, die Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes, die Zustimmung zu überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben und überplanmäßigen und außerplanmäßigen Verpflichtungsermächtigungen sowie die Festsetzung des Investitionsprogramms,
  2. die Festsetzung allgemein geltender öffentlicher Abgaben und privatrechtlicher Entgelte,
  3. die Abnahme der Jahresrechnung und die Entlastung,
  4. die teilweise oder vollständige Veräußerung oder Verpachtung von Eigenbetrieben, die teilweise oder vollständige Veräußerung einer Beteiligung an einer Gesellschaft oder anderen Vereinigungen des privaten Rechts, die Veräußerung eines Geschäftsanteils an einer eingetragenen Kreditgenossenschaft sowie den Abschluss von anderen Rechtsgeschäften im Sinne des § 111 Abs. 1 Satz 1,
  5. die Errichtung, Übernahme, Erweiterung, Einschränkung und Auflösung von öffentlichen Einrichtungen und Eigenbetrieben, die erstmalige Beteiligung sowie die Erhöhung einer Beteiligung an einer Gesellschaft oder anderen Vereinigungen in privater Rechtsform, den Erwerb eines Geschäftsanteils an einer eingetragenen Kreditgenossenschaft,
  6. die Umwandlung der Rechtsform von öffentlichen Einrichtungen und Eigenbetrieben sowie die Umwandlung der Rechtsform von Gesellschaften, an denen die Gemeinde beteiligt ist, soweit der Einfluss der Gemeinde (§ 63 Abs. 2 und § 113 Abs. 1) geltend gemacht werden kann,
  7. die Umwandlung des Zwecks, die Zusammenlegung und die Aufhebung von Stiftungen einschließlich des Verbleibs des Stiftungsvermögens,
  8. die Umwandlung von Gemeindegliedervermögen in freies Gemeindevermögen sowie die Veränderung der Nutzungsrechte am Gemeindegliedervermögen,
  9. die Übernahme von Bürgschaften, den Abschluss von Gewährverträgen und die Bestellung sonstiger Sicherheiten für andere sowie solche Rechtsgeschäfte, die den vorgenannten wirtschaftlich gleichkommen,
  10. die Bestellung des Leiters und der Prüfer des Rechnungsprüfungsamts sowie die Erweiterung der Aufgaben des Rechnungsprüfungsamts über die Pflichtaufgaben hinaus,
  11. die Genehmigung von Verträgen der Gemeinde mit Mitgliedern des Rates, der Bezirksvertretungen und der Ausschüsse sowie mit dem Bürgermeister und den leitenden Dienstkräften der Gemeinde nach näherer Bestimmung der Hauptsatzung,
  12. die Übernahme neuer Aufgaben, für die keine gesetzliche Verpflichtung besteht. Vor der Entscheidung über die Gründung von bzw. die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an Unternehmen der Telekommunikation i.S. von § 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b ist der Rat auf der Grundlage einer Marktanalyse über die Chancen und Risiken des beabsichtigten wirtschaftlichen Engagements zu unterrichten.
  • Im übrigen kann der Rat die Entscheidung über bestimmte Angelegenheiten auf Ausschüsse oder den Bürgermeister übertragen. Er kann  ferner Ausschüsse ermächtigen, in Angelegenheiten ihres Aufgabenbereichs die Entscheidung dem Bürgermeister zu übertragen.
  • Geschäfte der laufenden Verwaltung gelten im Namen des Rates als auf den Bürgermeister übertragen, soweit nicht der Rat sich, einer Bezirksvertretung oder einem Ausschuss für einen bestimmten Kreis von Geschäften oder für einen Einzelfall die Entscheidung vorbehält.

Die Praxis in den Sitzungen

Ganz anders die Praxis: als Besucher z.B. der letzten APBU-Sitzung am 8.Januar dieses Jahres, drängte sich uns der Eindruck auf, dass die die Grundsätze der GO NRW vielen anwesenden Bürgervertretern offenbar nicht ganz bekannt ist. Denn hier dominiert offensichtlich die Verwaltung. Erschreckend deutlich ist von der Besuchertribüne zu sehen, dass offensichtlich einige Ratsmitglieder in den Unterlagen blätternd dem Sitzungsverlauf zu folgen versuchen und dankbar sind, wenn das Zeichen „Hier-die-Hand-zur-Abstimmung-heben“ erscheint.

Wohlgemerkt: Dies trifft nicht auf alle Beteiligten zu. Auffällig ist jedoch, dass dies gerade bei den großen Fraktionen zu verzeichnen ist. Fragen, und Klärungsversuche gibt es nur ansatzweise. Diskussionen erschöpfen sich im kurzen Schlagabtausch. Man schreitet zum Ritual der Abstimmung.

Besorgte Fragen

Wenn dies nun so Normalität ist, ist diese Normalität dann auch akzeptabel und in Ordnung? Können wir also nichtsdestoweniger davon ausgehen, dass unsere demokratische Selbstverwaltung funktioniert? Oder weisen solche Momentaufnahmen doch auf gravierende Probleme hin, auf ernste Defizite in der kommunalen Demokratie? Wie genau kennen Ratsmitglieder die Beratungsunterlagen?

Könnte z.B. nicht genau solches unaufmerksame Verhalten oder Informationsmängel es einer Verwaltungsspitze oder einzelnen Vertretern der Verwaltung erleichtern, durch Halbwahrheiten und einseitige Darstellungen fragwürdige Positionen und kostspielige „Visionen“ zum – sagen wir – „Wohle Unbekannter“, aber nicht unbedingt zum „Wohle der Allgemeinheit“ durchzusetzen? Was „Wohl der Allgemeinheit“ sein soll, steht doch keineswegs fest. Leisten wir uns Demokratie nicht gerade deshalb, weil es Aufgabe demokratischer Gremien, ist dies herauszufinden? Etwa, wie auch ein Gericht Wahrheitsfindung nicht dadurch betreibt, dass es den Ausführungen der Staatsanwaltschaft applaudiert und zustimmt?

Beispiele Schützenstraße:

Wie Willensbildung etwa abläuft, aber nicht unbedingt ablaufen sollte, wird verdeutlicht an Vorgängen im Zusammenhang mit der Schützenstraße, die mittlerweile als Synonym für Verwaltungsmauscheleinen verstanden werden könnten. Folgende Fragen beschäftigen uns, ohne dass wir derzeit eine Antwort darauf haben: Ist es Irreführung?

In Sachen Jürgens /Petitionsausschuss wurde seitens des Petenten eine nach der geltenden Rechtsvorschrift erstellte Lärmberechnung vor seinem Anwesen eingereicht. Der dort errechnetet Wert gilt in Fachkreisen eindeutig als gesundheitsgefährdend. Wie antwortete die Stadtverwaltung darauf:

„Der vom Antragsteller berechnete Lärmpegel von 80db(A) tags und 70 dB(A) nachts erscheint der Verwaltung im Ergebnis zweifelhaft. Das schalltechnische Gutachten des Ingenieurbüros afi beschreibt einen Lärmpegel von 65,3 dB(A) auf der Schützenstraße ca. 350 südlich des Hauses von Herrn Jürgens“

Hier wird dem Petitionsausschuss verschwiegen, dass sich im Gegensatz zu dem „afi“ Gutachten:

  1. das Grundstück des Petenten an einer beampelten Kreuzung liegt, die bekanntlich nach der anzuwendenden Vorschrift den Lärm verdoppelt (+3dB(A)).
  2. Auch ist hier ein anderer Bebauungsabstand gegeben, der den Lärmpegel durch Reflektionen beeinflusst. (weiter Hausabstand = niedriger Lärmpegel, enger Hausabstand = hoher Lärmpegel)

Ist es Manipulation?

Verwaltungsaussage: Bei der Schützenstraße handelt es sich um einen langjährig bestehenden Straßenzug. Maßnahmen zur Lärmminderung kommen nach der StVo nur in Betracht, wenn eine Straße neu gebaut oder wesentlich geändert werden soll. Dieser Sachverhalt ist auch im Bundesimmissionsschutzgesetz festgelegt. Wesentliche Änderungen im Sinne der Richtlinie sind an der Schützenstraße nicht durchgeführt worden. Auch hat sich der Emissionspegel nicht um 3 dB(A) erhöht, was einer wesentlichen Änderung gleichzusetzen wäre.

Die im Kreuzungsbereich Schützen- Nimrodstraße nachträglich errichtete Ampel (BImSchG in Kraft) mit den Abbiegespuren auf der Schützenstraße gilt nach Rechtsvorschrift als wesentliche Änderung, da eine Ampel den Lärm nach Richtlinie um 3 dB(A) erhöht (Lärmverdoppelung). Dieser Umstand findet offensichtlich bei der Verwaltung keinerlei Beachtung. Auch hier könnte man von einer vorsätzlichen Täuschung der Betroffenen ausgehen.

  1. Bebauungsplan 112

Auch der im Jahr 2002 beschlossene Bebauungsplan kann als Synonym für parteiliches Verwaltungshandeln verstanden werden. Hier wurde die Willensbildung von der Verwaltung geprägt, die – nach eigenem Bekunden – in enger Abstimmung mit einem privaten Investor operierte.

Ist es ein Gefälligkeitsgutachten?

Bei der Erstellung von Bebauungsplänen müssen Lärmgutachten, zur Berücksichtigung des Abstandserlasses, eingereicht werden. Das von der Vestisch- Märkischen Wohnbaugesellschaft beauftragte Architekturbüro zur Erstellung des Bebauungsplanes vergibt den Auftrag an ein Ingenieurbüro. Von der Stadt werden dem beauftragten Gutachter Verkehrsdaten zur Verfügung gestellt. Ergebnis ist, dass die Schützenstraße als Gemeindestraße (mit 10%tigen LKW-Anteil) und nicht als Hauptverkehrsstraße mit dem doppelten LKW-Anteil eingestuft wird. Durch die Zugrundelegung dieser Daten ergibt sich für den Investor eine größere nutzbare Bebauungsfläche.

In der Ausschusssitzung erklärte aber der Leiter für Stadtentwicklung und Planung im Zusammenhang mit dem Ruhrpilot-Projekt, dass die Schützenstraße die einzige gemeindliche Hauptverkehrsstraße in Herten ist!

Hauptstraßen werden grundsätzlich mit 20% LKW-Anteil gerechnet. Der größere LKW-Anteil hätte im Lärmgutachten einen größeren Abstand zur Neubebauung zur Folge, d.h. die nutzbare Bebauungsfläche wäre kleiner.

Ist es Begünstigung?

Besonders parteilich erscheint eine Aussage der juristischen Fachbereichsleiterin. Auf Nachfrage durch Ratsmitglied Rohmann (UWG) bezogen auf die laufende Klage von Anwohnern gegen den Bebauungsplan und der Frage: „Was passiert eigentlich, wenn das Gericht in zwei oder drei Jahren den Bebauungsplan für nichtig erklärt?“

„Dann stehen die Häuser schon dort“, antwortete sie, „Und dann komme es darauf an, welche Form von Rechtsfehler das Gericht geltend macht.“

Der Rat mag nun vielleicht glauben, dass dann zwar ein Fehler festgestellt wird, der jedoch keine gravierenden und nachhaltigen Folgen haben wird.

Da diese Frau ja vorgibt, in rechtlichen Fragen kompetent zu sein,

fragen wir uns nun, ob sie wissentlich dem Rat vorenthält, dass im Fall einer Niederlage die Stadt zu Schadensersatzforderungen der Kläger u.U. in Millionenhöhe herangezogen werden könnte?

Im Zusammenhang mit dem strittigen Baubauungsplan könnte der Eindruck entstehen, dass die VMW für ihr Planungsvorhaben möglicherweise Schützenhilfe durch die Aufsichtsratsmitglieder, Bürgermeister Bechtel und Ratsherrn Brusdau, und den Mitgliedern der Gesellschafterversammlung der VMW, Ratsherrn Vergin und Baurat Lindner, erhalten haben könnte. Wie hier eine Abwägung zugunsten des Gemeinwohls erfolgt sein soll, bleibt uns gänzlich unklar.

Auf den Rat kommt es an

Da wir uns aus personellen Gründen nur einigen der Lokalthemen widmen können, dort jedoch für unsere Arbeit noch immer fündig wurden, wagen wir die Vorstellung, dass die uns bekannten und von uns dokumentierten Vorgänge möglicherweise nur die Spitze eines Eisberges darstellen.

Wem wird in dieser Stadt wie gedient? Die Frage „Was soll dieses Vorhaben?“ müsste ergänzt werden. „Wem nutzt das Vorhaben oder wer steckt in Wirklichkeit hinter den Maßnahmen?“

Erschreckend, dass Gutachten, für die Millionen gezahlt wurden, offensichtlich auf Nimmerwiedersehen in Schubladen verschwinden. Hat etwa jemand Vorteile davon? Wir Bürger, der Rat, die Verwaltung, die Gutachter oder wer sonst?

Was bleibt zu hoffen? Dass der Rat in seiner Gesamtheit endlich wieder das Heft des Handels an sich zieht, so dass BürgerInnen, die einmal eine Sitzung besuchen, nicht glauben müssen, einer Veranstaltung zur puren Legitimationsbeschaffung der Verwaltungsspitze beizuwohnen.

Verantwortlich für dieses Schreiben in alphabetischer Reihenfolge: gez. Herbert u. Irene Beste gez. Reinhard Bömke gez. Joachim Jürgens gez. Hans Heinrich Holland gez. Rohland Kerutt gez. Norbert Müller gez. Manfred M. Schwirske